Dienstag, 23. April 2024

Charlie Lovett: Das Buch der Fälscher

Inhalt
"Wales konnte kalt sein im Februar..."
Das spürt auch Peter Byerly, Buchhändler und Antiquar, der sich nach dem tragischen Tod seiner geliebten Frau in ein Cottage in einem verschlafenen walisischen Dorf zurückgezogen hat. Als ihm durch Zufall ein Manuskript mit handschriftlichen Randnotizen von William Shakespeare in die Hände fällt, scheint ein Traum wahr zu werden, etwas Aufregenderes kann es für einen begeisterten Bibliophilen kaum geben. Aber ist es wirklich echt? Oder doch nur eine geschickte Fälschung? Gemeinsam mit der lebenslustigen Liz, die den schüchternen Peter aus seinem Schneckenhaus locken will, versucht er die Wahrheit herauszufinden. Als sich die Ereignisse überschlagen und ein brutaler Mord geschieht, wird den beiden klar, dass es nicht bloß um eine literarische Sensation geht, sondern tatsächlich um Leben und Tod.

Buchbeginn
Hay-on-Wye, Mittwoch, 15. Februar 1995
Wales konnte kalt sein im Februar. Auch ohne Schnee oder Wind drang die feuchte Winterluft durch Peters Mantel und senkte sich in seine Knochen, als er vor einem der Antiquariate in den engen Gassen von Hay stand. Trotz des warmen Schimmers im Schaufenster, das ein verlockendes Angebot viktorianischer Bücher enthielt, beeilte Peter sich nicht, die Tür aufzustoßen. Es war jetzt neun Monate her, dass er eine Buchhandlung betreten hatte; da kam es auf ein paar Minuten nicht an. Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte er nicht lange gezögert. Einen Laden mit seltenen Büchern zu betreten, war ein erregender Moment gewesen, andere Bücherliebhaber zu treffen ein Abenteuer.
 

Samstag, 20. April 2024

Tom Harper: Das Buch des Satans

 Inhalt
Wer es liest, ist dem Tod geweiht
In einem verschneiten kleinen Ort in Deutschland macht die amerikanische Forscherin Gillian eine unglaubliche Entdeckung - und verschwindet daraufhin spurlos. Doch es gelingt ihr noch, per Internet eine Nachricht an ihren Exfreund zu schicken: das Bild einer mittelalterlichen Spielkarte. Nick, der beim FBI arbeitet, ahnt sofort, dass Gillian in Gefahr ist. Zumal er plötzlich selbst von Unbekannten verfolgt wird. Die Suche nach Gillian führt ihn ins alte Europa. Offenbar war die junge Frau bei ihren Forschungen auf ein Geheimnis gestoßen, das mit dem Erfinder Johannes Gutenberg zu tun hat. Und mit einem Buch, von dessen Existenz kein Lebender wissen darf...

Buchbeginn
Oberwinter, Deutschland
An diesem Morgen lag eine dicke Schneedecke über dem Dorf. In den Straßen herrschte eisige Stille. Die Scheiben der Autos, die gegenüber dem Hotel geparkt standen, waren vereist - bis auf eine Scheibe an einer Fahrerseite, wo eine behandschuhte Hand einen unregelmäßigen Kreis freigekratzt hatte. Hinter dem schwarzen Glas glomm eine Zigarette wie ein rotes Auge.


Buchvorstellung

Bevor in einem verschneiten kleinen Ort in Deutschland die amerikanische Forscherin Gillian eine unglaubliche Entdeckung macht, verschwindet sie spurlos. Per Internet kann sie aber noch eine Nachricht an ihren Exfreund schicken: das Bild einer mittelalterlichen Spielkarte. Nick, tätig beim FBI, ahnt sofort, dass Gillian in Gefahr ist. Noch dazu, wo er plötzlich selbst von Unbekannten verfolgt wird. Die Suche nach Gillian führt ihn ins alte Europa. Offenbar war die junge Frau bei ihren Forschungen auf ein Geheimnis gestoßen, das mit dem Erfinder Johannes Gutenberg zu tun hat. Und mit einem Buch, von dessen Existenz kein Lebender wissen darf.

Doch Nick ist nicht ganz alleine auf der Suche, eine junge Frau hat sich ihm angeschlossen, Gillian zu finden oder zu erfahren, was aus ihr geworden ist und was es mit diesem Buch auf sich hat. Dabei sind sie zu Gejagten geworden, und die, die ihnen helfen, werden getötet.

Eine tolle Idee bietet dieses Buch. Anfangs ist es eingeteilt in Kapitel. Die Geschichte beginnt in der Gegenwart und wechselt Kapitel für Kapitel mit dem Mittelalter. Im Mittelalter gibt es einen Ich-Erzähler, Johannes Gensfleisch, der die Goldschmiedekunst lernt und mittlerweile der Alchimie frönt. Auch er ist ständig auf der Flucht.

Mittlerweile wird die Geschichte immer dichter, in der Gegenwart und im Mittelalter. Und nun, je schneller auch die Gejagten unterwegs sind, desto schneller auch die Wechsel. Und zwar nicht mehr Kapitel für Kapitel, sondern innerhalb eines Kapitels.

Diese Art des Erzählens hält die Leser*innen total unter Spannung und man mag das Buch nicht aus der Hand legen.

Johannes Gensfleisch, der im Mittelalter seine Geschichte erzählt, ist hier gleichzusetzen mit Johannes Gutenberg. Über dessen Leben ist ja nicht allzu viel bekannt. Vor allem die Zeit, bevor er den Buchdruck erfand, schwebt im Dunkeln. Eine tolle Idee von Harper, sich eine Geschichte über ihn auszudenken, wie sie hätte sein können.


Mittwoch, 17. April 2024

Bärbel Wegner: Die Freundinnen der Bücher - Buchhändlerinnen

Inhalt
In der großen Mehrzahl sind es Frauen, die ihre Leselust und Wissensfreude zum Beruf gemacht haben, gestern wie heute: Buchhändlerinnen wie jene legendären - Sylvia Beach und Adrienne Monnier in Paris, Mary S. Rosenberg in New York, Ilse Feltrinelli in Mailand - und wie so viele andere, die heute in großen und kleinen Orten, in Ost und West, in Buchhandlungen mit speziellem oder allgemeinem Sortiment sich und anderen die Liebe zum Buch bewahren. Und der Branche ihre Vielfalt verleihen. Dieses Buch will die Aufmerksamkeit einmal auf sie lenken und zugleich ihren Auszubildenden, Kundinnen und Kunden, generell allen Freundinnen und Freunden des Buchhandels einen ebenso kurzweiligen wie informativen Blick hinter die Kulissen eröffnen.


Buchbeginn
Nach ihrem "Jahrhundertbuchhändler" befragte das Börsenblatt im Dezember 1999 50 Persönlichkeiten der Branche. Platz zwei der Beliebtheitsskala nahm eine Buchhändlerin ein: die Frankfurterin Melusine Huss. Klaus Wagenbach wählte sie, ebenso Heinz Gollhardt vom vgs Verlag, weil sie, so Gollhardt, "gescheit, großzügig, energiegeladen - und weil sie eine Frau war". Wagenbach nannte noch gleich eine weitere engagierte Frau: Marga Schoeller, und Verlegerkollege Michael Klett entschied sich für die aus Deutschland stammende Mailänder Starbuchhändlerin Inge Feltrinelli. 


Zitate
"Dann kam die Wende. Sie brachte auch für den Buchhandel große Veränderungen. ,Ich fand es entsetzlich, dass so viele Bücher weggeworfen wurden.' - Geschätzte 50 bis 80 Millionen Bücher wurden nach der Wende in der DDR vernichtet."

Sigrid Kaufmann, Rostock-Schmarl


"In der Wende hoffte ich, mir mit dem Beruf viele Wünsche erfüllen, d. h. vor allem auch eigene Ideen und Projekte umsetzen zu können. Hinzu kam, dass ich sah, wieviele minderwertige Bücher von den Westverlagen in den Buchhandlungen regelrecht abgekippt wurden: Ramschpakete für 250,- DM auf Zuteilung. Und die einzige Kinderbuchhandlung im Zentrum Rostocks wurde zugemacht."

Petra Fehlhaber-Keiper

"Ich habe nie mit dem ,goldenen Westen' geliebäugelt. Für mich wäre es als Alleinerziehende, als Buchhändlerin nie in Frage gekommen, in den ,Westen' zu gehen. Ich wusste die sozialen Vorteile im Bereich Familienpolitik, Babyjahr etc. zu schätzen. Und hatte ein Gefühl von Stärke entwickelt - auch als alleinerziehende Frau."

Petra Fehlhaber-Keiper

"Was weibliche Problematik und besonders die alleinerziehender Frauen betrifft, so halte ich das ganze gesellschaftliche Umfeld für sehr rückschrittlich."

Petra Fehlhaber-Keiper

Samstag, 13. April 2024

Tom Petsinis: Die Buchliebhaberin

Aus dem Englischen von Lisa-Marie Sayre

Inhalt
Die Buchhändlerin Sonya findet geheimnisvolle Briefe vor ihrer Ladentür. Es sind Dialoge zwischen großen Dichtern, Denkern und Propheten, und sie scheinen nur für sie bestimmt zu sein.
Als der geniale Verfasser sich zu erkennen gibt, nimmt Sonyas Leben eine aufregende Wendung.

Buchbeginn
Das wird wieder ein Sechs-Aspirin-Tag, gesteht Sonya Gore sich seufzend ein. Die Besitzerin des antiquarischen Buchladens BIBLIOPHILIE verzieht das Gesicht und nimmt ein schmales Taschenbuch von dem Stapel auf dem Ladentisch. Am frühen Morgen ist sie zu einem Flohmarkt am anderen Ende der Stadt gefahren, wo sie das riesige Angebot wie unter einem inneren Zwang durchstöbert und zwei große Koffer bis zum Bersten gefüllt hat. Sie betrachtet das Taschenbuch in ihrer Hand, eine Gedichtsammlung. Ist es von irgendeinem Wert? Welchen Preis soll sie dafür ansetzen? Jedes Buch stellt sie aufs Neue vor das immer gleiche Dilemma: Wie bringt man seinen ideellen Wert mit einem kalkulierten Verkaufspreis in Einklang?


Sonya quittiert mit 30 ihren Job als Lehrerin. Ihre Schüler waren eh „mehr an McDonalds als an Macbeth interessiert“. Sie wagt den Sprung in die Selbstständigkeit und eröffnet ein Antiquariat (laut Buchbeschreibung macht sie eine Erbschaft, aber das stimmt nicht, sie nimmt für den Laden eine zweite Hypothek auf ihr Haus auf).

Eines Tages, mitten in einer Wirtschaftskrise, als die Geschäfte nicht mehr so gut liefen, findet sie einen Brief vor ihrer Tür, ein goldener Umschlag. Ohne Absender, ohne Anschreiben. Es handelt sich um einen Dialog zwischen Marx und Moses. In unregelmäßigen Abständen folgen weitere Briefe mit Dialogen zwischen großen Dichtern, Denkern und Propheten. Und sie scheinen direkt für sie gemacht, denn in jedem Dialog findet sie sich auf die eine oder andere Weise wieder.

Eine Wende nimmt ihr Leben, als sie eines Tages den Überbringer der Dialoge kennenlernt.

Als die Geschäfte immer schlechter gehen, erhält sie von einem ehemaligen Klassenkameraden ein Angebot, das sie zuerst strikt ablehnt, aber dann doch überlegt, ob sie es annehmen soll.

Ich hoffe, ich konnte Euch ein wenig neugierig auf dieses Buch machen. Gegen Ende der Geschichte wollte ich nur noch wissen, wie es ausgeht, es wurde ja immer spannender. Aber fast interessanter zu lesen waren die Dialoge, die immer eine kleine Geschichte für sich waren.

Schön, dass es Schriftsteller gibt, die so toll über die Liebe zu Büchern schreiben können. 

Donnerstag, 11. April 2024

Susan Wiggs: Die Buchhandlung zum Glück

Aus dem amerikanischen Englisch von Maike C. Müller


Inhalt
Nach einem schweren Schicksalsschlag ändert sich für Natalie Harper alles. Um für ihren Großvater da zu sein, zieht sie in das kleine Apartment über der Buchhandlung in San Francisco. Am vernünftigsten wäre es, das Geschäft aufzugeben. Doch als Natalie sieht, wie viel die Buchhandlung ihrem Großvater und den Stammkunden bedeutet, übernimmt sie den Laden. Und zwischen den Wänden, an denen noch Schwarz-Weiß-Fotografien hängen, findet Natalie, was sie völlig verloren geglaubt hatte: echte Nähe, Hoffnung und einen ungeahnten Schatz, der Träume wahr machen kann.

Buchbeginn
Prolog
The Flood Mansion
San Francisco

Bei der Gedenkfeier für ihre Mutter stand Natalie Harper vor der Trauergemeinde und senkte den Blick auf das Rednerpult. Auf der geneigten Platte lag ein Ordner mit der Aufschrift "Hilfen für Trauernde" neben ihren Aufzeichnungen. Der Ratgeber war ein Leitfaden für Trauerarbeit, aber eine Sache wurde darin nicht erwähnt: Wie sollte sie nach dem, was geschehen war, weitermachen?
 

Dienstag, 2. April 2024

James A. Michener: Dresden, Pennsylvania

Deutsch von Gerhard Beckmann

Mit Buchkunstarbeiten von Achim Kiel

Inhalt
James A. Micheners "Dresden" liegt nicht in Deutschland, sondern westlich von New York, im Herzen des Pennsylvania Dutch Country, das von den Nachfahren deutscher Einwanderer besiedelt ist.
Hier lebt Lukas Yoder, ein Schriftsteller, der soeben seinen letzten großen Roman vollendet hat. Die Veröffentlichung seines Werkes wird zu einer dramatischen - und tödlichen - Auseinandersetzung um ein neues Lebensgefühl zwischen Tradition und Moderne.

Buchbeginn
Heute morgen - Dienstag, den 3. Oktober, um halb elf - habe ich den letzten Satz des Romans getippt, der beschließt, was von den Kritikern inzwischen als ,Grenzler-Oktett' bezeichnet wird - als ob ich von Anbeginn geplant hätte, acht zusammenhängende Bücher zum gleichen Thema zu schreiben. Nein, das hat sich zufällig so ergeben.


Lukas Yoder, Schriftsteller von Beruf, hat seinen achten und letzten Roman beendet. Emma, seine Frau, die ihren Karrieretraum aufgegeben hat und als Lehrerin arbeitet, damit Lukas schreiben kann, ist diesmal nicht ganz so euphorisch. Hat er doch in seinem letzten Buch die Ökoschiene betreten.

Lukas erste vier Bücher floppten, die nächsten drei wurden gefeiert. Wie nehmen seine Fans nun den letzten Band auf?

Emmas Ahnen lebten 1640 in der Pfalz.

"Sie wurden von dem religiösen Feuer erfaßt, das ein Jahrhundert zuvor Martin Luther und Huldreich Zwingli entfacht hatten, wurden Wiedertäufer und verkündeten, es sei nicht nur dumm, sondern unbiblisch, Kinder gleich nach der Geburt zu taufen: 'Erst im Alter von siebzehn oder achtzehn ist ein Menschenkind alt genug, um den Sinn des Christentums zu begreifen. Dann erst kann es sich frei entscheiden und zur Taufe zugelassen werden.' Zum Beweis für ihre These führten sie Johannes den Täufer, Christus selbst und den Apostel Paulus an."

Für ihre Lebensweise wurden sie verfolgt und sogar hingerichtet. Auf Einladung des englischen Quäkers William Penn siedelten sie sich 1697 in Pennsylvanien an, wo sie sich in zwei religiöse Sekten spalteten: die Amish und die Mennoniten.

Emma kam aus einer Amishfamilie, Lukas aus éiner von Mennoniten.

Herman Zollicoffer "war ein stolzer alter Dutchman, dem es wichtig war, daß Sprache und Sitten seiner Leute der Welt korrekt vermittelt wurden".

Und so hat es sich Lukas zur Regel gemacht, das Geschriebene von Herman lesen zu lassen.

"Auf der Fahrt zu seiner Farm dachte ich über die heikle Situation nach, in der sich jeder, selbst der erfolgreichste Schriftsteller befindet, der ein Manuskript abgeschlossen zu haben glaubt. Es muß vor dem Urteil einer externen Autorität bestehen, in meinem Fall also vor Zollicoffer. Anschließend wird es vom Lektor auseinandergenommen. Falls es ausgesprochen kontroverse Themen behandelt, werden Juristen es nach eventuell verleumderischen Aussagen durchkämmen. Und zum Schluß muß irgendein Könner der Sprache jeden Satz auf Grammatik und Orthographie überprüfen. Und selbst nach solch aufmerksamer Betreuung kann ein Buch durchfallen, wenn es endlich an die Öffentlichkeit gelangt."

Dresden, Pennsylvania ist für mich echt ein Knaller. Heute Abend schaffe ich die letzten Seiten.

Wer sich ein bisschen für die Entstehung eines Buches interessiert, dem kann ich es wärmstens empfehlen.

Die Geschichte wird aus viererlei Sicht erzählt: vom Autor, der Lektorin, dem Kritiker und der Leserin. Alle vier haben ihr eigenes Kapitel.

Sie kennen sich untereinander alle. Besonders interessant ist, wie unterschiedlich sie ein und dieselbe Sache sehen.

Diese Geschichte scheint ein wenig aus der Rolle zu fallen. Michener hat bisher wohl hauptsächlich historische Romane geschrieben, in denen er sich mit einem bestimmten Land oder US-Bundesstaat von den Anfängen bis zur Gegenwart beschäftigt.

Diese Geschichte spielt zwar in Dresden, Pennsylvanien, die wahrscheinlich deutscheste Region Amerikas, und wir lernen einige urige Einwohner dieser Region kennen, aber hauptsächlich handelt das Buch von Büchern, der Literatur, dem Buchwesen. Der Originaltitel "The Novel" passt daher viel besser zum Buch, als der deutsche Titel.

Das Kapitel über die Lektorin Yvonne Marmelle hat mir sehr gut gefallen. Wir erfahren dort, dass sie schon als kleines Kind Bibliothekarin werden wollte. Das kam durch ihren Onkel Judah, der Bücher liebte, der sie schon frühzeitig an Jugendbücher heran führte, obwohl sie vom Alter her in der Bibliothek eigentlich nur Kinderbücher ausleihen dürfte.

Für Yvonne war es

"eine so sensationelle Erfahrung, mit dem Leben anderer Menschen in Berührung zu kommen, daß ich bei der Rückgabe des Buchs die Bibliothekarin fragte: ,Ist das alles tatsächlich passiert?' Und sie hat mir erklärt: ,Es ist passiert, aber nur im Kopf der Schriftstellerin. Und natürlich auch in deinem Kopf. Das macht einen Roman aus. Er ist ein Austausch von Träumen.'"

Schon in jungen Jahren konnte sie einen guten Roman unterscheiden von einem, der des Lesens nicht wert war. Yvonne wurde zwar nicht Bibliothekarin, dafür aber eine erfolgreiche Lektorin, die allerdings privat nicht viel Glück hatte.

Auch das Kapitel des Kritikers Karl Streibert ist sehr interessant und spannend. Und in dem der Leserin Jane Garland fügt sich dann alles zusammen. Hier treffen wir sie alle wieder und werden sehen, was aus ihnen wird. Wie sich nach Glück und Trauer ihr Leben weiterentwickeln wird.

Zum Schluss möchte ich noch ein Zitat bringen. Es sind Sätze von Leserbriefschreibern an Lukas Yoder, die es fast immer auf die gleiche Weise ausgedrückt haben (mir geht es auch oftmals so, wenn ich ein schönes Buch beende):

"Wenn ich mich den letzten Seiten eines Romans von Ihnen nähere, dann empfinde ich ein Gefühl ehrlichen Bedauerns, weil ich merke, daß ich eine Beziehung mit Figuren aufgeben muß, die ich liebgewonnen habe. Und eine Ecke der Welt wieder verlassen muß, wo ich lohnende Wochen und Monate verbracht habe. Ich lese nämlich langsam und gründlich. Wenn die Seiten weniger werden, kommt es mir vor, als ob mir etwas weggenommen würde, etwas Kostbares, das unersetzbar ist.

Vielleicht lachen Sie über das, was ich jetzt sagen möchte, aber wenn ich sehe, wie wenig Seiten mir noch bleiben, rationiere ich sie. Dann erlaube ich mir täglich nur einige wenige Seiten, und wenn die letzte Seite kommt und ich das Buch zuschlage, dann starre ich minutenlang auf die Karte auf dem Vorsatzpapier und bin mir bewußt, daß mich etwas Wertvolles angerührt hat."

Donnerstag, 28. März 2024

Ross King: Das Labyrinth der Welt

Aus dem Englischen von Gerald Jung

Inhalt
England im 17. Jahrhundert: Nach dem Bürgerkrieg und Cromwells Tod erlebt das Land die Restauration des Königtums. Der Held des Romans, Isaac Inchbold, ist Inhaber einer Buchhandlung auf der London Bridge. Der verständnisgläubige Büchernarr wird aus seinem beschaulichen Leben gerissen, als er auf einen heruntergekommenen Landsitz gerufen wird und von einer geheimnisvollen Lady den Auftrag erhält, ein aus ihrer Bibliothek verschwundenes überaus kostbares Buch wiederzubeschaffen. Sein Titel: "Das Labyrinth der Welt". Die Suche stürzt Inchbold in einen Wirbel von Intrigen, eine Welt voller Turbulenzen, die von Spionen und Spitzeln, Alchimisten und Gelehrten, Ketzern und Inquisitoren bevölkert ist. Nur wenn der äußerst belesene Buchhändler (und unfreiwillige Detektiv) Inchbold den Text ,dieser' Welt zu entziffern vermag, wird er überleben.
"Das Labyrinth der Welt" ist ein fesselnder, mit Schwung und Witz geschriebener Detektivroman, ein mitreißendes literarisches Abenteuer.

Buchbeginn
Wer 1660 in London ein Buch erwerben wollte, hatte die Auswahl zwischen vier Anlaufstellen. Geistliche Werke kaufte man am besten bei den Buchhändlern von St. Paul's Churchyard, die Läden und Stände von Little Britain hingegen waren auf griechische und lateinische Titel spezialisiert, während diejenigen am westlichen Ende der Fleet Street vornehmlich Gesetzestexte für Richter und Anwälte bereithielten. Als vierte und bei weitem beste Adresse wäre die London Bridge zu nennen gewesen.


Was für ein Abenteuer

Dieses Buch habe ich vor langer Zeit schon einmal gelesen, als Taschenbuch. Vor Kurzem konnte ich noch eine gebundene Ausgabe ergattern und habe mir das Vergnügen noch einmal angetan. Und eines weiß ich jetzt schon. In ein paar Jahren werde ich es auf jeden Fall noch einmal verschlingen.

London, 1660. Isaac Inchbold ist einer von sechs Buchhändlern auf der London Bridge.

"Da sich das Angebot dieser Läden nicht auf die Bedürfnisse von Vikaren, Anwälten oder sonstwem beschränkte, boten sie eine breitere Auswahl als diejenigen in den anderen Bezirken, daher konnte man in ihren Regalen so ziemlich alles finden, was jemals auf ein Stück Pergament gekritzelt oder gedruckt und zwischen zwei Buchdeckel gepreßt worden war. Das größte Angebot von allem barg die Buchhandlung im Nonsuch House, etwa auf halber Höhe der London Bridge gelegen, über deren grüner Tür und den beiden blankgeputzten Schaufensterscheiben ein Schild hing, dessen verwitterte Inschrift folgendes besagte:

NONSUCH BOOKS

Ankauf und Verkauf sämtlicher Titel

Isaac Inchbold, Inhaber​"

​Isaac Inchbold erzählt hier seine Geschichte. 1635 ging er mit 14 Jahren in diesen seinen Buchladen in die Lehre, nachdem sein Vater bei einer Pestepidemie starb. Wegen der Schulden, die dieser der Familie hinterließ, nahm sich seine Mutter das Leben. Mit seinem Eintritt als "freier Bürger in die Zunft der Papierhändler" starb auch sein Lehrmeister an der Pest.

"Und so wurde ich an diesem folgenschweren Tag Eigentümer von Nonsuch Books, wo ich seither im Durcheinander mehrerer tausend in Saffianleder und Leinen gebundener Gefährten meine Zeit verbracht habe."

Isaac war ziemlich weltfremd, auch wenn er sich als Mensch der Großstadt bezeichnet. Eine enge Wohnung hatte er über seinem Buchladen und er verließ das Haus nur, wenn es unbedingt nötig war. Er war kurzsichtig, hatte Asthma und einen Klumpfuß.

Am liebsten hätte Isaac sein beschauliches Leben bis an sein Lebensende weitergeführt. Doch dann flatterte ihm eines Tages eine Einladung einer Lady Marchamont ins Haus. Sie bat um sein Kommen.

An dieser Einladung fiel Isaac etwas Eigenartiges auf. Das "ursprüngliche Wassersiegel schien abgepaust, aufgebrochen und später mittels eines gefälschten Stempels mit Schellack wieder verschlossen" worden zu sein.

Bei Lady Marchamont angekommen, ließ man ihn in einem ziemlich dunklen Zimmer warten.

"Als ich mich umdrehte, knarrte eine Diele unter meinem Stiefel. Dann stieß der Zeh meines verkrüppelten Fußes gegen ein Hindernis. Ich senkte den Blick [...]

Aber dann... etwas Vertrautes. Ich bemerkte, daß der Geruch nach etwas Altem den Raum durchzog, ein Geruch, den ich besser kannte und mehr liebte als jedes Parfüm. Ich drehte mich nochmals um, hob den Blick und sah eine Regalreihe voller Bücher neben der anderen, die augenscheinlich jeden Zoll der Wände bedeckten. Über der auf halber Höhe angebrachten, mit einem Geländer versehenen Galerie erstreckten sich weitere Bücherwände bis zur unsichtbaren Decke empor.

Eine Bibliothek..."

Die Bibliothek, in der er sich befand, wird fünf Seiten lang beschrieben. Zu viel, um es hier als Zitat einzufügen.

Lady Marchamant erzählt Inchbold, wie es dazu kam, dass Pontifex Hall so heruntergekommen ist. Vor gut fünfzehn Jahren wurde der Besitz wegen verräterischer Aktivitäten gegen das Parlament beschlagnahmt. Viele Möbel wurden verbrannt, so einiges sicher auch verkauft.

Aber erst am nächsten Tag erfuhr er mehr über die Bibliothek und seinen Auftrag. Er soll ein bestimmtes Buch suchen: Das Labyrinth der Welt. Doch nicht irgendeine Ausgabe, sondern das mit dem Ex Libris von Lady Marchamants Vater.

Ich liebe ja nicht nur "Bücher über Bücher", sondern auch Geschichten, die in England, insbesondere in London spielen.

"Acht Uhr. Der Morgen kam in blaßrosafarbenen und perlgrauen Lichtadern über London gekrochen. Schon seit Stunden war die Stadt dröhnend, klappernd, rülpsend, lärmend, singend und seufzend auf den Beinen. Doch obwohl es Sommer war, hielt sich die Dunkelheit am Himmel. Knorrige Rauchsäulen stiegen hoch empor, um das Morgenlicht zu filtern und auseinanderzuzupfen, als hätten sich Dutzende orientalischer Geister aus ihren entkorkten Flaschen befreit und sich von Smithfield bis Ratcliff und soweit das Auge reichte entlang der Flußmündung verteilt. Dann kehrten sie zurück, um sich wie ein feines schwarzes Pulver, das alles ummantelte, beschmutzte und zerfraß, auf der Stadt niederzulassen, ein unaufhörliches Rieseln, vor dem es kein Entkommen gab. Die gräucherten Speckseiten, die auf dem Leadenhall Market aushingen, waren bereits vom schwarzen Rauhreif überzogen, ebenso jeder Kragen, jede Hutkrempe, jede Markise und jedes Fensterbrett in der ganzen Stadt. Und es würde noch schlimmer kommen, da schon diese frühe Morgenstunde unerträgliche Hitze versprach, und der Hitze folgte unweigerlich der Gestank. Nahe am Themseufer vermengte sich der muffige Geruch des Schlicks aus dem unausgehobenen Flußbett mit den süßlichen Ausdünstungen von Melasse, Zucker und Rum aus den verfallenden Lagerhäusern und Fabriken, die sich vom Kai heraufdrängten. Hinzu kam der beißende Gestank des Blasentangs und der Schnecken, die bei Ebbe bloßgelegt wurden. Der Wind wehte von Osten, was für diese Jahreszeit ungewöhnlich war, und schob so die faulig riechende Wolke flußaufwärts, durch das endlose Gewirr gepflasterter Straßen, lichtloser Innenhöfe, halboffener Einfahrten und Fenster, hinein in jede Nische und jeden Schlupfwinkel der Stadt."


Liest sich das nicht toll? Jedenfalls, wenn ich in meinem gemütlichen Lesesessel sitze.